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Edelkastanienhonig
Jürgen Engel
Zwar wurde die Edelkastanie (Castanea sativa) 1 schon vor zweitausend Jahren durch die Römische Besatzungsmacht in jenes Territorium gebracht, welches heute den Namen Pfälzerwald trägt. Doch die Bäume der Buchengewächse (Fagacea), zu denen die Edelkastanie gehört, erobern sich neue Gebiete auch durch die sogenannte Versteckausbreitung: ihre Früchte, nämlich die Maronen werden von den Nagetieren zur winterlichen Vorratshaltung gesammelt - und oftmals wird der Ort der Sammlung von den Tieren vergessen, so dass die unauffindbaren Früchte im Frühjahr zu keimen beginnen.
Bis zur allerersten Blüte eines Baumes vergehen bestaunenswerte 20 bis 30 Jahre. Nicht nur deswegen steht die Edelkastanie irgendwie ausserhalb üblicher Zeiten: sie kann bis zu eintausend Jahre alt werden und sie blüht ungewöhnlich spät, nämlich in den Monaten Juni und Juli. Die ährenähnlichen, grünweissen Blüten markieren sommerliche Mischwälder in einer besonderen Weise. Das auffällige Erscheinungsbild eines Waldes mag vielleicht ein Grund für Kaiser Karl (742 - 814) gewesen sein, die Edelkastanie in die Landgüterverordnung (Capitulare de villis) 2 aufnehmen zu lassen. Für eine zusätzliche Verbreitung der Edelkastanie als Bienenweide sorgte ebenfalls der Kronberger Theologe Johann Ludwig Christ (1739 - 1813) durch seine Tätigkeiten als Pomologe und als Bienenzüchter. 3
Die mediterrane Anmutung 4 des Pfälzerwaldes hat für die dort ansässigen Imker einen eher pragmatischen Nutzen, weil die Bienen noch mitten im Sommer ihre Flüge starten können, um Nektar, Pollen und Honigtau 5 zu sammeln. So bringt Hermann Stever 6, Mathematiker an der Universität Landau und seit mehr als 20 Jahren als Imker tätig 7, Mitte Juni seine Bienenvölker an zwei ausgewählte Standorte 8:
Der Stellplatz A 9 befindet sich nordwestlich von Albersweiler zwischen Rothekopf (379 m ü. NN) und Rehköpfchen (397 m ü. NN), und der Stellplatz B 10 liegt westlich von Bad Bergzabern an einem Bach unterhalb vom Zimmerberg (304 m ü. NN). 11
An beiden Lagen produzieren die Bienen der Imkerei Stever 12 einen Edelkastanienhonig von überragender und zugleich ausgezeichneter Qualität. So erhielt der Jahrgang 2005 13 in der Landesprämierung die Goldene Kammerpreismünze der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz.
Viele Sorten von Honig wurden mittlerweile im Rahmen des Projektes Kunst und Honig verkostet. Anfänglich neigte die Präferenz zum hocharomatischen Tannenhonig. Aber das Wissen um die extrem hohen Anteile von Honigtau und das eigentlich an Hustensaft erinnernde Aroma brachte einen allmählichen Wechsel der Geschmacksrichtung. Das Urteil über den Edelkastanienhonig, der vom Imker Hermann Stever gewonnen wird, hat sich gerade wegen der vielen Vergleichsproben gefestigt. Eine aktuelle Verkostung - beim Verfassen des Textes durchgeführt - kommt zu diesem Ergebnis:
Der Edelkastanienhonig hat eine leuchtend gold-braune Farbe. Die kristalline Konsistenz ist schmelzend fest, in der Mitte des Glases ein wenig flüssig. Der Duft ist leicht aromatisch und holzig. Eine Geschmacksprobe zerfliesst im Mund - mit kleinkörnigen Berührungen an der Zunge. Hiervon ausgehend entwickelt sich im Mundraum eine Süsse und Säuernis von angenehm herber Art. Die klare Geschmacksnote süss-herb-bitter kann etliche Minuten lang anhalten. Die Note klingt ganz langsam ab, wobei ein Nachklang 14 im Rachenbereich noch länger schwingt.
Nur diesen Honig könne sie akzeptieren, sagte mir Chrysoula Pasachidou in einem Gespräch anlässlich einer Kostprobe. In ihrer griechischen Heimatstadt Katerini 15 habe sie in Kindheitstagen beim Freund ihres Vaters einen Edelkastanienhonig kennen gelernt, den sie in Deutschland in der vergleichbaren Qualität vergebens suchte. Erst die heutige Sorte vom Imker Stever aus dem Pfälzerwald liesse sich mit dem damaligen Honig, der aus dem Bergdorf Kato Milea stammte, vergleichen.
Geschmack, der bekanntlich vor allem vom Riechen getragen wird, ist ein hochkomplexer und erinnerungsträchtiger Vorgang, den zum Beispiel Marcel Proust (1871 - 1922) in seinem Werk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« in einer berühmten Episode 16 beschrieben hat: Der Genuss von Tee und einem kleinen Stück Madeleine löst bei Proust ein unerhörtes Glückgefühl aus. Und dann heisst es: "Sicherlich muß das, was so in meinem Inneren in Bewegung geraten ist, das Bild, die visuelle Erinnerung sein, die zu diesem Geschmack gehört und die nun versucht, mit jenem bis zu mir zu gelangen." 17
Bis zum Tage der Exkursion fehlten mir jene erinnerungsfähigen Bilder aus dem Pfälzerwald, die den Geschmack des Edelkastanienhonigs nun vollkommen machen. 18
Fussnoten
1 Siehe die detaillierte Darstellung bei wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/Edelkastanie
2 Vgl. http://www.hochmittelalter.net/Wissenswertes/Garten/body_garten.html
3 Vgl. Helmut Bode: Johann Ludwig Christ. Pfarrer, Naturforscher, Ökonom, Bienenzüchter und Pomologe. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1984.
4 Für diesen Hinweis danke ich Chrysoula Pasachidou.
5 Honigtau sind die Exkremente der Läuse (Lachnidae). Nach der Verdauung von Siebröhrensaft wird der Honigtau tröpfchenweise ausgeschieden und von den Bienen aufgenommen. Vgl. Stichwort Honigtauabgabe im Lexikon der Bienenkunde.
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7 Nähere Informationen unter http://www.bienenarchiv.de/
8 An dieser Stelle danke ich Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Stever für die exzellente und umsichtige Exkursion.
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11 Geographische Angaben aus: Naturpark Pfälzerwald, Wander- und Bikekarte Nr. 766, 1:50 000, Kompass-Karten, Rum/Innsbruck o.J.
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13 Für den Jahrgang 2006 ist eine Verkostung am 23.10.2006 in einer Veranstaltung der Experimentelle Reihe geplant.
14 Das Wort Nachgeschmack, welches hier passend wäre, hat umgangssprachlich eine negative Konnotation.
15 http://de.wikipedia.org/wiki/Katerini
16 Vgl. In Swanns Welt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 63 ff.
17 A.o.O., S. 65.
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